Die Naumburger Stifterfiguren
Die Geschichte, die diese Denkmale erzählen, ist untrennbar mit der Geschichte der Stadt verbunden. Sie ist zugleich ihre Entstehungsgeschichte und – wie fast alle spannenden Geschichten – die eines Streits, der jahrhundertelang immer wieder aufflammte und bis heute munter politische Blüten treibt.
Sie beginnt eigentlich im Jahre 967. Im späteren Zeitz, im damals slawisch besiedelten Gebiet des ostfränkischen, bis 531 thüringischen Reiches, gab es im heutigen Posa (Bosau), bekannt durch ein späteres Benediktinerkloster, eine Befestigung, eine Burg oder ein Kloster, so genau weiß man das nicht. Vielleicht lag hier auch die Burg, die König Heinrich I. (+ 936) errichten ließ (die aber auch an der Stelle des heutigen Domes gestanden haben könnte) oder eine slawische Burganlage. Jedenfalls wurde 967 das Erzbistum Magdeburg mit dem Suffroganbistum Zeitz (neben Meißen und Merseburg) beurkundet und im Dezember 968 der erste Bischof Hugo I. geweiht. 976 schenkte Kaiser Otto II. Zeitz (wohl schon als kleine Ansiedlung neben der Burg) dem Bistum.
Auf der anderen Seite der Saale stand zu dieser Zeit auf dem Kapellenberg im heutigen Kleinjena (urbs gene) die Stammburg der Ekkehardinger, einem Thüringer Grafengeschlecht, seit 965 Markgrafen von Meißen. Ekkehard I. (der Enkel eines 949 erwähnten Ekkehards, also genau genommen schon der II.) wurde 985 ebenfalls Markgraf von Meißen, damit weltlicher Herrscher über das Bistum und mächtiger Reichsfürst, der 1002 vielleicht König geworden wäre, wäre er nicht rechtzeitig ermordet worden. Er wurde in Kleinjena begraben. Sein Sohn Herrmann verlegte etwa in dieser Zeit oder um 1010 den Stammsitz in eine neu erbaute Burg an der Stelle des heutigen Naumburger Oberlandesgerichtes. Die erste urkundliche Erwähnung der „neuen Burg“, die der späteren Stadt ihren Namen gab, datiert von 1012 und die einer Propstei, also der Sitz einer gehobenen kirchlichen Verwaltung am gleichen Ort von 1021. Und damit begann der Ärger.
An der Unstrutmündung stießen drei Stammesgebiete des ostfränkischen Reiches aneinander: Thüringen im Südwesten, Sachsen im Norden, slawisches Gebiet im Osten. Dort brach 1028 ein Aufstand aus, den Herrmann zum willkommenen Anlaß nahm, Kaiser Konrad zu drängen, den Bischofssitz von Zeitz nach Naumburg zu verlegen, was dieser mit beurkundeten eindringlichen Bitten beim Papst 1028 auch erreichte, als dieser den Umzug genehmigte. Unter der uns gut vertrauten Devise „Sicherheit geht vor“ bekam er eine politisch hochrangige Besetzung seines Stammsitzes und zugleich mit der noch zu errichtenden Bischofskirche eine Familiengrablege erster Klasse inklusive Memorialdienst, der so zur Chefsache wurde. Ob eine Verlegung seines Stammsitzes nach Zeitz nicht auch eine Option und vielleicht die bessere gewesen wäre, wissen wir nicht, ebenso wenig ob der Aufstand tatsächlich eine ernste Gefahr für den Bistumssitz gewesen war oder nur ein willkommener Vorwand. Bischof Hildeward zog jedenfalls um, alle waren zufrieden, nur die Zeitzer verloren ihren Bischofssitz, wurden mit einem Kollegiatstift abgespeist und gingen demzufolge faktisch leer aus. Das konnte wohl nicht gut gehen – eine Konkurrenz entstand, die bis heute politisch aktuell ist.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts verschärfte sich ausweislich überlieferter Urkunden die Auseinandersetzung um den rechtmäßigen Bischofssitz – offen ist, ob dies ein Auslöser oder Folge des Domneubaus in Naumburg war. Jedenfalls wurde in hohem Tempo der heutige spätromanische Dom erbaut und am 29.06.1242 geweiht. Aber das sollte nicht genügen, der Zwist zwischen dem Bistum in Naumburg und dem Stift in Zeitz ging natürlich weiter. Eine wirklich überzeugende Demonstration der Rechtmäßigkeit des Naumburger Bischofssitzes musste her. Schon wenige Jahre nach der Weihe des neuen Domes, der Mörtel muß noch frisch gewesen sein, kam der Entschluß zum Bau des Westchores als Ersatz der alten Stiftskirche und die Auftragerteilung an den Naumburger Meister.
Die herausgehobene Darstellung von weltlichen Stiftern im Chor sollte die Rechtmäßigkeit der Kirchengründung von 1050 unterstreichen und zugleich eine einzigartige Machtdemonstration bewirken. Der Westchor gilt erste raumprogrammatische Darstellung der Idee des Fegefeuers (purgatorium) und der Bedeutung von Stiftungen für die Kirche zur Rettung des eigenen Seelenheils in dieser monumentalen Form. Nach dem Durchtritt durch den Westlettner mit der Passionsgeschichte über dem Kopf, unmittelbar am gekreuzigten Christus vorbei und von oben streng durch das jüngste Gericht, der Leitidee des ganzen Westchores (mit der Drohung des unabänderlichen Richterspruchs) überwacht, muß der Anblick überwältigend gewesen sein: In einem spärlich beleuchtetem Raum schauten die damals noch leuchtend bunt bemalten Stifterfiguren von oben herab, umgeben von ebenso strahlenden bunten Fenstern (vor allem im Abendlicht), die eine klare Botschaft vermitteln: Oben thronen die Apostel und die Heiligen zusammen mit den Tugenden, darunter alle bisherigen Naumburger Bischöfe und neben ihnen die Stifter. Diese werden noch gerichtet, für deren Seelenheil muß also intensiv gebetet werden. Das war Aufgabe der Kirche (genauer: der Geistlichen der Stiftskirche) und bedurfte der Hoheit des Domkapitels mit dem Bischof an der Spitze – und dafür brauchten beide materiellen Besitz und politischen Einfluß. Wer dies gewährte, hatte gute Karten für das Himmelreich oder die Vermeidung der angedrohten Höllenqualen, je nach Lesart und Überzeugung.
Letztlich unklar ist – bis auf die beiden Markgrafen und ihre Ehefrauen – die wirkliche Identität der anderen Figuren. Eine Urkunde aus der Bauzeit von 1249 (die übrigens nur 11 Stifter erwähnt, drei weitere stehen in einer anderen) und die erhaltenen originalen Beschriftungen nennen nur Vornamen, die mehrere Deutungen zulassen. Jedenfalls gehören sie alle in die Zeit des Domneubaus von 1050, nicht des aktuellen spätromanischen, gerade erst geweihten Domes. Je nach Identität erzählen die Figuren auch mindestens eine weitere Geschichte, die sie miteinander verbunden haben könnte, wobei offen bleibt, ob der Naumburger Meister die Quellen überhaupt kannte. Thimo blickt auf Ekkehard, möglicherweise den Mörder seines Vaters. Wilhelm, verheiratet mit Gepa (deren Figur aber auch Adelheid von Thüringen, Äbtissin von Gernrode sein könnte) legte sich mit Kaiser Heinrich IV. an und musste 1075 ins Exil – Herrmann und Ekkehard standen 50 Jahre früher ihrem Kaiser treu zur Seite. Konrad war ein Neffe, ein Dietmar war auch ein Schwager der beiden markgräflichen Brüder. Und so weiter. Alle Figuren könnten sich auch mit Blicken und Gesten direkt oder indirekt auf Dietmar beziehen, der ausweislich seiner originalen Schildinschrift Opfer eines Gewaltaktes wurde – unklar bleibt, ob Mord oder gewaltsame Auseinandersetzung. Vielleicht erzählen die Figuren also auch von einer oder gar mehreren blutigen Familienaffären, für die um Vergebung und Erlösung zu bitten höchst ratsam ist, wenn man nicht in der Hölle enden will? Wer weiß.
Dem Naumburger Bischofssitz hat der ganze Aufwand übrigens nicht viel genützt – schon 1259, also unmittelbar vor oder kurz nach dem Abschluß seines neuen Prunkbaus, dem Westchor, kam es zu einem Vergleich mit dem Fürstenhaus Wettin in Meißen nach jahrelangen heftigen politischen Konflikten um Macht und Einfluß im Bistum Naumburg. Nota bene: Es gibt auch eine mögliche verwandtschaftliche Zuordnung aller acht Einzelstifterfiguren zum Hause Wettin! Ob nun auf Betreiben der neuen weltlichen Herrscher oder des Stifts in Zeitz, wegen Überschuldung, wegen der selbstbewussten und aufmüpfiger werdenden Naumburger Bürgerschaft oder aus anderen oder allen diesen Gründen – diskutiert werden auch interne machtpolitische Querelen zwischen Episkopat und dem Domkapitel mit dem Probst an der Spitze – der Bischof pendelte jedenfalls ab Mitte des 13. Jh. zwischen Zeitz und Naumburg und zog schließlich wieder um, erstmals beurkundet „im neuen Palais in Zeitz“ 1271. Bischof Bruno verkaufte dann 1286 sein Naumburger Palais, zog endgültig nach Zeitz und behielt nur einen Dienstsitz in Naumburg, weil formal der Bischofssitz mit der Verwaltung bis zum Tode des letzten Bischofs Julius v. Pflug 1564 in Naumburg blieb.
Epilog: Zeitz sollte dann 1656 Residenzstadt werden (Sekundogenitur Sachsen-Zeitz, bis 1718) und erhielt so sein heutiges barockes Schloß; Naumburg war es nur provisorisch zehn Jahre lang während dessen Bauzeit und hat bis heute keines. Zeitz wurde 1815 preußische Kreisstadt, Naumburg erhielt den Sitz des Oberlandesgerichts. In der Gründerzeit ab der 2. Hälfte des 19. Jh. wurde Zeitz eine bedeutende Industriestadt und blieb es bis 1990; Naumburg erhielt jede Menge Militär und wurde gefragte Wohnstadt wohlhabender Pensionäre – eine Struktur, die beide Städte bis heute prägt. 1994 verlor Zeitz seinen Kreisstadtstatus an Naumburg, das sich 2007 auch gegen Weißenfels als Kreisstadt durchsetzen konnte.
Quellen:
wikipedia
E. Schubert: Naumburg – Dom und Altstadt, Verlag Koehler&Amelang Leipzig 1989
C. Kunde et al.: Der Naumburger Meister – Kurzführer, M. Imhof Verlag Petersberg 2011
Förderverein Welterbe an Saale und Unstrut e. V.: „Welterbe-Antrag 2018 – Der Naumburger Dom“ als pdf-Dokument auf www.welterbeansaaleundunstrut.de
Heinzelmann: Naumburg – ein Führer durch die Domstadt, Schmidt-Buch-Verlag Wernigerode, 1999
G. Straehle: Der Naumburger Stifter-Zyklus, Hans Köster Verlagsbuchhandlung KG, Königstein i. Ts., 2. Aufl. 2013